Wegweiser für den Erhalt der Biodiversität
Von unentdeckter Artenvielfalt über widerstandsfähige Wälder bis zu den Auswirkungen des Lebensmittelkonsums auf die Natur: 64 ExpertInnen haben ihr Wissen gebündelt und als »10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung« veröffentlicht.
Im neuen Bericht des Leibniz-Forschungsnetzwerks Biodiversität werden Politik und Gesellschaft konkrete Wege aufgezeigt, um die biologische Vielfalt wirksam zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Zugleich werden auch die Klimaschutzziele beachtet. Mit der Veröffentlichung tragen die Forschenden wissenschaftliche Fakten zusammen.
Die planetaren Belastungsgrenzen sind überschritten!
Dr. Kirsten Thonicke, Leitautorin und stellvertretende Abteilungsleiterin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), koordiniert das Forschungsnetzwerk. Sie stellt die Studie wie folgt vor: »Bereits heute überschreiten wir planetare Belastungsgrenzen, sowohl bei der globalen Erwärmung als auch beim Verlust biologischer Vielfalt. Um diesen Krisen zu begegnen, braucht es gemeinsame Antworten. Wir wissen, dass der Schutz der Biodiversität wesentlich dazu beitragen kann, den Klimawandel abzuschwächen, etwa durch artenreiche Wälder und wiedervernässte Moore, die Kohlenstoff speichern. Nur wenn Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität stärker in den Fokus rücken, kann es gelingen, gegen beide Krisen zugleich vorzugehen«.
Forschende aus insgesamt 52 deutschen und internationalen Forschungseinrichtungen haben ihre Expertise aus den Umwelt-, Lebens-, Raum-, Sozial-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaften in die Neufassung der »10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung« eingebracht. Mit diesem Dokument sollen allen handelnden Akteuren das notwendige Orientierungswissen an die Hand gegeben werden, um die global beschlossenen Biodiversitätsziele im deutschen Kontext umsetzen zu können.
Geballtes Biodiversitätswissen von 64 Fachleuten quer durch die Disziplinen
Für die nationale Umsetzung der 23 globalen Biodiversitätsziele, auf die sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im Dezember 2022 auf der Weltnaturkonferenz geeinigt hatten, wird zurzeit die Nationale Biodiversitätsstrategie 2030 erarbeitet. Um hierfür aktuelle Fakten aus der Wissenschaft zu liefern, wurden nun zahlreiche Aspekte hinzugefügt und mit Hilfe aktueller Literatur auf den neuesten Stand gebracht.
So geht der Bericht geht darauf ein, wie die Auswirkungen des Lebensmittelkonsums auf die Biodiversität konkret verringert werden können: »Biodiversität als wichtigen Produktionsfaktor zu begreifen und zu nutzen, trägt dazu bei, Erträge zu stabilisieren, die Landwirtschaft widerstandsfähig zu machen und uns alle, ob Produzenten oder Konsumenten, zu Biodiversitätsmanagern zu entwickeln«, so Co-Autor Dr. Jens Freitag vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK).
Auch die BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) und das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig wirkten als Kooperationspartner an dem Projekt mit. Die »10 Must-Knows« wurden vor Veröffentlichung von GutachterInnen aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Verbänden kommentiert.
Umfang der »10 Must-Knows«
Im Einzelnen umfassen dir »10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung 2024« folgende Themenbereiche:
1. Klima- und Biodiversitätsschutz gemeinsam verwirklichen
2. Ein gesundes Leben auf einem gesunden Planeten ermöglichen
3. Unentdeckte Artenvielfalt beachten
4. Sprachliche, kulturelle und biologische Vielfalt verknüpfen
5. Vielfältige Nutzung von Waldökosystemen und Biodiversitätsschutz in Einklang bringen
6. Agrar- und Ernährungssystem transformieren
7. Land und Ressourcen schützen
8. Transformativen Wandel durch internationale Zusammenarbeit und Bildung für nachhaltige Entwicklung bewirken
9. Freien Zugang und offene Nutzung von biodiversitätsbezogenen Daten sicherstellen
10. Auswirkungen des Lebensmittelkonsums auf die Biodiversität verringern
Weitere Kommentare des Forschungsteams
Ein gesunder Planet sei die Grundlage für die menschliche Gesundheit, so Prof. Dr. Aletta Bonn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Sektorübergreifend müsse Biodiversitätsschutz und Gesundheitspolitik verknüpft werden, denn nur eine intakte Natur fördere auch die körperliche und mentale Gesundheit.
Mats Nieberg vom PIK und dem European Forest Institute (EFI) ergänzte: »Wir sollten Bewirtschaftungspraktiken und die Raumplanung so anpassen, dass die vielfältige Nutzung von Waldökosystemen mit dem Biodiversitätsschutz in Einklang gebracht wird. So können wir den zunehmenden negativen Auswirkungen des Klimawandels, wie zum Beispiel im Wald, begegnen und gleichzeitig Zielkonflikte zwischen konkurrierenden waldbezogenen Politikzielen auflösen.
»Derzeit werden in Deutschland täglich ca. 60 Hektar an neuen Siedlungs- und Verkehrsflächen ausgewiesen. Damit rücken die Flächensparziele der Bundesregierung in weite Ferne. Die Böden können ihre grundlegenden Funktionen nicht mehr erfüllen, ihre Ökosystemleistungen gehen verloren und Lebensräume verschwinden. Schutz, Entwicklung und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt müssen auf allen politischen und planerischen Ebenen zentrale Berücksichtigung finden. Das gilt für internationale Vorhaben ebenso wie für die regionale und kommunale Planung«, betonte Dr. Barbara Warner, Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL).
Das passende Wort zum Abschluss dieser Zusammenfassung liefert Prof. Dr. Christoph Scherber, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB): »Der wahre Reichtum der Erde ist seine unermessliche biologische Vielfalt. Doch es scheint, als ob wir Menschen zu kurzatmig, zu kurzsichtig wären, um mit diesem Schatz sorgsam umzugehen. Viele kennen den Aktienmarkt besser als das Arten-Portfolio, das die Natur uns bietet. Es ist an der Zeit, Natur-Kenntnis für uns alle zum Bildungsziel zu machen - für eine biodiversitäts-freundliche Welt von morgen«.