So lernt unser Gehirn, Störungen auszublenden: Studie zeigt, warum wiederholte Reize uninteressant werden

Das menschliche Gehirn ist überaus anpassungsfähig, besonders wenn es mit störenden Reizen umgehen muss. Eine aktuelle Studie zeigt nun, wie unser Gehirn lernen kann, visuelle Ablenkungen gezielt zu unterdrücken.

Das Gehirn kann im Laufe der Zeit erlernen, bestimmte visuelle Reize auszublenden.
Das Gehirn kann im Laufe der Zeit erlernen, bestimmte visuelle Reize auszublenden. Bild: Anna Dziubinska/Unsplash
Lisa Seyde
Lisa Seyde Meteored Deutschland 4 min

Eine Bewegung am Bildschirmrand, grelle Pop-ups oder blinkende Lichter von Benachrichtigungen – visuelle Ablenkungen sind zum ständigen Begleiter unseres Alltags geworden. Doch was passiert dabei eigentlich im Gehirn? Und wie werden störende Reize wieder ausgeblendet?

Der Mechanismus der erlernten Unterdrückung ist eine wichtige Fähigkeit des visuellen Systems. Normalerweise reagiert dieses stark auf auffällige, sogenannte saliente Reize, doch durch wiederholte Exposition kann das Gehirn lernen, solche Reize auszublenden.

Forschende der Universität Leipzig und der Vrije Universiteit Amsterdam konnten mithilfe von Elektroenzephalographie (EEG) nachweisen, dass sich die frühen Phasen der visuellen Verarbeitung beim Menschen verändern, wenn ablenkende Reize wiederholt an denselben Orten auftreten.

Zum Beispiel wird ein ständig blinkendes Werbebanner im Internet mit der Zeit als weniger störend wahrgenommen – das Gehirn hat gelernt, es zu ignorieren. Die Studienergebnisse wurden im renommierten Journal of Neuroscience veröffentlicht.

Wie Lernprozesse die Reaktionen des Gehirns verändern

Für die Studie hatten 24 Probandinnen und Probanden eine visuelle Suchaufgabe durchgeführt, bei der sie ein Zielobjekt erkennen sollten, etwa einen grünen Kreis zwischen grünen Rauten. Gleichzeitig wurde an einer bestimmten Position regelmäßig ein ablenkender Reiz eingeblendet, zum Beispiel eine auffällige rote Raute.

Im Verlauf der Tests zeigte sich, dass das Gehirn lernte, die Position des störenden Reizes innerhalb der ersten Momente der visuellen Verarbeitung zu unterdrücken. Diese Anpassung war im EEG klar nachweisbar.

„Wir haben übereinstimmende Belege dafür gefunden, dass Lernen die frühen Reaktionen des visuellen Systems auf diese Reize verändert“, erklärt Dr. Norman Forschack vom Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der Universität Leipzig, Mitautor der Studie.

Um die elektrischen Signale des Gehirns zu analysieren, müssen auch die Augenbewegungen aufgezeichnet werden, die ebenfalls elektrische Signale erzeugen. Für jede Versuchsperson wurde ein Eye-Tracker individuell kalibriert.
Um die elektrischen Signale des Gehirns zu analysieren, müssen auch die Augenbewegungen aufgezeichnet werden, die ebenfalls elektrische Signale erzeugen. Für jede Versuchsperson wurde ein Eye-Tracker individuell kalibriert. Bild: Peter Valckx/Vrije Universiteit Amsterdam

Die Teilnehmenden erzielten zudem bessere Ergebnisse bei der Lokalisierung von Zielobjekten, wenn der ablenkende Reiz an der gewohnten, also der erlernten Position auftauchte. Tauchte er hingegen an einer neuen Stelle auf, war der Suchprozess deutlich erschwert.

„Diese Ergebnisse zeigen, dass unser Gehirn nicht nur automatisch auf auffällige Reize reagiert, sondern auch durch Erfahrung lernen kann, Ablenkungen effizient herauszufiltern.“
– Dr. Forschack, Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der Universität Leipzig

Zudem sei laut Dr. Forschack interessant, dass auch die Wahrnehmung von Zielreizen abgeschwächt wurde, wenn diese an der Stelle erschienen, an der zuvor häufig ein ablenkender Reiz platziert war. Das legt nahe, dass das Gehirn nicht nur Reize aktiv unterdrückt, sondern ganze Positionen im visuellen Feld gewohnheitsmäßig dämpft. Wie dieser Prozess im Alltag funktioniert – etwa bei Berufspendlern, die täglich dieselbe Strecke fahren – ist jedoch noch nicht abschließend geklärt.

Bedeutung für Verkehr und Bildung

Die Studienergebnissen könnten künftig für die Gestaltung von Verkehrsinfrastrukturen relevant sein. Beispielsweise ließen sich Straßen so konzipieren, dass das Ablenkungsrisiko durch visuelle Reize reduziert wird.

„Es ist offensichtlich, dass Menschen vertraute Benutzeroberflächen oder Layouts von Lehrbuchkapiteln automatisch erkennen und als nützlich empfinden, und dass sich dieser Effekt bereits in der grundlegenden visuellen Verarbeitung widerspiegelt.“
– Dock Duncan, Erstautor der Studie von der Vrije Universiteit Amsterdam

Die Studie liefert neue Erkenntnisse darüber, wie sehr Lernen und Erfahrung die menschliche Wahrnehmung beeinflussen – und wie das Gehirn durch Aufmerksamkeit und Gewöhnung gleichermaßen geprägt wird.

Quellenhinweis:

Duncan, D. H., Forschack, N. van Moorselaar, D., Müller, M. M., & Theeuwes, J. (2025): Learning modulates early encephalographic responses to distracting stimuli: a combined SSVEP and ERP study. Journal of Neuroscience 4 April 2025, e1973242025.