Rentiere und Klimawandel: Wanderung, Bedrohung und Anpassung in der arktischen Fauna und Kulturlandschaft
In der Weihnachtszeit stehen Rentiere vor allem symbolisch im Mittelpunkt – tatsächlich aber kämpfen sie im arktischen Norden gegen raue Witterungsbedingungen an. Tieren und Rentierhirten machen dabei klimatische Veränderungen zu schaffen, wie neue Studien nun belegen.
Rentiere (Rangifer tarandus) – in Nordamerika Karibus genannt – sind für ihre beeindruckenden Wanderungen bekannt: Jedes Jahr legen sie bis zu 5000 Kilometer zwischen ihren Sommer- und Wintergebieten zurück. Auf der Reise bilden sie teils gigantische Herden von hunderttausenden Tieren. Ältere Rentiere weisen den Jungen die Wanderrouten, indem sie die langen Karawanen anführen, in denen sich die Tiere an den Bewegungen benachbarter Herdengenossen orientieren.
Nach ihrer Wanderung in die südlichen Winterquartiere, reduzieren die arktischen Tiere ihre Aktivität auf ein Minimum, um wertvolle Energie zu sparen. Der Schnee der arktischen Winterlandschaft erschwert dabei die Nahrungssuche: Unter der dichten Schneedecke finden sie lediglich karge Nahrung wie Flechten, Moose und Pilze.
Auch die Bewegung der Rentiere wird gehemmt, wie einige Studien zeigen. Demzufolge vermeiden die Tiere bei geschlossener Schneedecke anstrengende Aktivitäten und schonen ihre Kräfte. Die Wanderungen von Rentierherden wirken sich zudem auf das arktische Ökosystem aus.
Erkenntnisse aus Bewegungsmustern
Die Max-Planck-Gesellschaft hat nun in einer Meldung auf eines seiner Forschungsprojekte hingewiesen: das Arctic Animal Movement Archive, das Tierbewegungen in der Arktis überwacht. Herzstück des Archivs ist die sogenannte Movebank, die zahllose Studien und Datensammlungen zu Tierwanderungen umfasst.
Mithilfe von GPS-Technologie, Drohnen und Flugzeugen verfolgen Wissenschaftler die Routen der Tiere und sammeln Daten, die in das Arctic Animal Movement Archive einfließen. Die Bewegungsmuster helfen dabei, das Verhalten von Rentieren und anderen arktischen Arten besser zu verstehen.
So konnte etwa gezeigt werden, dass die Tiere unterschiedlich auf klimatische Bedingungen reagieren, wie etwa Niederschlag: Während Schnee die Fortbewegung fast aller arktischen Arten wie Elche, Wölfe, Schwarzbären und Karibus (außer die Unterart Barrenground) erschwert, reagieren Karibus weniger empfindlich auf Sommerregen, der hingegen die Bewegungsmuster anderer Tiere oft beeinflusst.
Auch kann gezeigt werden, wie menschliche Eingriffe ihren Lebensraum bedrohen: Straßenbauprojekte, Bergbau und Staudämme zerschneiden wichtige Wanderwege und reduzieren ihre Weideflächen. Ein Beispiel dafür ist der Bau des Kárahnjúkar-Staudamms in Island, der massive Schäden an lokalen Rentierpopulationen verursacht hat.
Zusätzlich verschärft der Klimawandel die Situation: Bewegungsdaten von über 900 Karibus in Nordkanada zeigen, dass nördliche Herden zunehmend früher im Jahr Nachwuchs bekommen, während südlichere Populationen unverändert bleiben.
Rentierhaltung und Klimawandel
In einer weiteren Studie zur Rentierhaltung wurden gezielt Berichte von Rentierhirten in Fennoskandinavien und Nordwestrussland ausgewertet, um Wetterphänomene und andere saisonale Umweltbedingungen in Zusammenhang mit kritischen Umweltereignissen für die Rentierhaltung zu bringen.
Die heutige Rentierhaltung basiert vor allem auf traditionellen Fertigkeiten, die durch die praktische Arbeit mit den Tieren von einer Generation von Rentierzüchtern an die nächste weitergegeben wurden und sich somit über viele Jahrhunderte hinweg entwickelt haben.
Rentierhirten mussten sich schon immer mit der natürlichen Variabilität von Wetter- und Klimaphänomenen auseinandersetzen, wozu auch die Fähigkeit gehört, Wetterereignisse zu beobachten, zu interpretieren und vorherzusehen. – Das Klima in der Arktis erwärmt sich jedoch viel schneller als der globale Durchschnitt, was die Lebensgrundlagen der Rentierhalter deutlich bedroht.
In der Studie untersuchte das internationale Forscherteam um Roza Laptander, Ethnologe an der Universität Hamburg, den Wert einer messbaren Variablen, wie Temperatur, Niederschlag, Schneebedingungen am Boden oder Windgeschwindigkeit, und wie dieser mit der belebten Umwelt (Moskitos, Vegetation, die Rentiere selbst) und den Landschaftselementen (Flüsse, Moore, Berge, Wälder) zusammenhängt.
Als relevant wurden vor allem solche Angaben gewertet, die das Überleben der Tiere und ihre Fähigkeit, neue Nachkommen zu zeugen, betrafen, oder die Hirten selbst und den Erfolg ihre Arbeit über das Jahr.
Die häufigste Reaktion von Rentierhaltern auf kritische Wetterbedingungen war die Bewegung – entweder durch die Ausbreitung der Herde, durch die Aufteilung auf mehrere Weiden (Fennoskandinavien) oder als echte nomadische Methode, um Probleme zu umgehen (Nordwestrussland).
Bei kritischen Wettersituationen bringen Rentierhirten ihre Herden auf Weiden, wo die Bedingungen besser sind, etwa an windige Meeresküsten, um Hitze und Mücken zu vermeiden, oder in bewaldete Gebiete, um harten Schnee zu vermeiden.
Anpassungsstrategien zunehmend in Frage gestellt
Auch in Fennoskandinavien ist die Flexibilität, sich wetterbedingt zwischen verschiedenen Landschaftselementen zu bewegen, wichtig, beispielsweise in bergige Gebiete oder in Waldgebiete, um Baumflechten zu nutzen, wenn die Schneedecke tief oder vereist ist. Solche Bewegungen können vereinzelt auch über Landesgrenzen hinweggehen, wobei die Rentierzüchtergemeinschaften dann auf die Unterstützung von Behörden angewiesen sind.
„Der Klimawandel ist eines der größten Probleme für die heutige Rentierzucht“, erklärt Laptander. „Veränderungen bei Temperatur und Niederschlag, Schneebedingungen am Boden und Wind führen zu ungewöhnlichen, extremen oder neuen Wetterereignissen.“
So können sich etwa die Jahreszeiten hinsichtlich Zeitpunkt und Dauer ändern, Winter könnten kürzer werden, während Herbst und Frühling länger dauern. Die gegenwärtigen klimatischen Veränderungen werden die Rentierzucht langfristig beeinflussen und bestehende Anpassungsstrategien in Frage stellen.
Rentiere sind ein wichtiger Bestandteil von Arktisökosystemen und indigenen Gemeinschaften. Studien belegen jedoch, dass der Klimawandel, menschliche Eingriffe und extreme Wetterereignisse die Lebensgrundlagen der Tiere zunehmend gefährden. – Untersuchungen zu Bewegungsmustern und traditioneller Rentierhaltung zeigen Anpassungsstrategien auf, unterstreichen aber den dringenden Handlungsbedarf für einen nachhaltigen Schutz.
Quellenhinweis:
Laptander, R., Horstkotte, T., Habeck, J. O., Rasmus, S., Komu, T., Matthes, H., ... & Forbes, B. C. (2024): Critical seasonal conditions in the reindeer-herding year: A synopsis of factors and events in Fennoscandia and northwestern Russia. Polar Science, 39, 101016. https://doi.org/10.1016/j.polar.2023.101016