Rätsel der elektrostatischen Aufladung gelöst: Physiker entschlüsseln mysteriöse Reibungselektrizität
Forscher haben herausgefunden, dass die Kontaktgeschichte von Materialien eine entscheidende Rolle bei der elektrostatischen Aufladung spielt. Die Studie könnte einen bedeutenden Schritt im Verständnis von Elektrostatik und Materialwissenschaft markieren.

Ein alltägliches Phänomen hat Wissenschaftler jahrhundertelang vor Rätsel gestellt: Beim Berühren einer metallenen Türklinke wird uns manchmal ein elektrischer Schlag versetzt. Nun ist es Forschern gelungen, eine entscheidende Unbekannte der Reibungselektrizität aufzudecken.
Laut einer neuen Studie des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) spielt die Kontaktgeschichte von Materialien eine zentrale Rolle bei der elektrostatischen Aufladung. Diese Erkenntnis könnte endlich erklären, warum sich die reibungselektrische Aufladung von Isolatoren so unvorhersehbar verhält. Die Forschungsergebnisse, die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurden, könnten einen bedeutenden Fortschritt im Verständnis von Elektrostatik und Materialwissenschaft markieren.
Ein uraltes Phänomen
Schon in der Antike entdeckten Gelehrte, dass sich bestimmte Stoffe durch Reibung aufladen können. Bernstein ist ein bekanntes Beispiel. Später erkannte Benjamin Franklin, dass dieser Effekt auf einem Ladungsaustausch beruht.
Trotz dieses Wissens blieb jedoch ungeklärt, was genau bestimmt, ob ein Material nach Kontakt positiv oder negativ geladen ist. Wissenschaftler versuchten, eine triboelektrische Reihenfolge aufzustellen, doch die Ergebnisse waren widersprüchlich.
„Es schien lange Zeit ein totales Chaos zu sein, zu verstehen, wie Isoliermaterialien Ladung austauschen. Die Experimente sind unvorhersehbar und können manchmal völlig zufällig erscheinen“, erklärt Scott Waitukaitis vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA), Koautor der Studie.
Experiment mit Polymerblöcken
Ein Forschungsteam unter Leitung von Juan Carlos Sobarzo beschloss, dieser Frage systematisch nachzugehen. Sie untersuchten das polymere Material Polydimethylsiloxan (PDMS) und testeten dessen elektrostatische Eigenschaften bei wiederholtem Kontakt.
Anfangs schien sich eine klare triboelektrische Reihenfolge zu ergeben. Doch bei erneuten Versuchen veränderte sich die Reihenfolge auf unvorhersehbare Weise. Erst nach zahlreichen Tests wurde klar, dass die Aufladung davon abhing, wie oft eine Probe zuvor in Kontakt mit anderen Materialien gekommen war.

„Der Kontakt selbst kann die Parameter beeinflussen, die die Kontaktelektrizität hervorrufen. Mit anderen Worten: Unser Material ‚erinnert‘ sich an seine Kontaktgeschichte“, so Sobarzo.
Kontaktgedächtnis als Schlüssel
Um die Ursache dieses Kontaktgedächtnisses zu klären, analysierten die Forscher die Oberflächenstruktur der Proben mithilfe modernster Röntgen- und Mikroskopietechniken. Dabei stellten sie fest, dass sich durch wiederholten Kontakt winzige Veränderungen in der Oberflächenstruktur ergeben. Die betroffenen Bereiche wurden glatter, was offenbar die Art der Ladungsübertragung beeinflusste.
Scott Waitukaitis, Institute of Science and Technology Austria (ISTA)
Die Entdeckung könnte die Widersprüche in bisherigen Studien zur elektrostatischen Aufladung erklären. Sollte sich das Kontaktgedächtnis bei weiteren Materialien bestätigen, könnte es sogar die Grundlage für eine präzise Steuerung elektrostatischer Prozesse bilden.
Da im Alltag die Kontaktgeschichte eines Materials oft unbekannt ist, bleibt die Vorhersage elektrostatischer Phänomene dennoch schwierig. „Vielleicht wird es niemals möglich sein, die Kontaktelektrizität in realen Szenarien vorherzusagen“, schreibt Daniel Lacks von der Case Western University in einem Kommentar zur Studie.
Quellenhinweis:
Sobarzo, J.C., Pertl, F., Balazs, D.M. et al. (2025): Spontaneous ordering of identical materials into a triboelectric series. Nature, 638, 664–669.