Rätsel der elektrostatischen Aufladung gelöst: Physiker entschlüsseln mysteriöse Reibungselektrizität

Forscher haben herausgefunden, dass die Kontaktgeschichte von Materialien eine entscheidende Rolle bei der elektrostatischen Aufladung spielt. Die Studie könnte einen bedeutenden Schritt im Verständnis von Elektrostatik und Materialwissenschaft markieren.

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Wissenschaftler suchen schon lange Zeit nach der Ursache, nach dem sich Materialien elektrisch aufladen. Bild: Ilona Panych/Unsplash
Lisa Seyde
Lisa Seyde Meteored Deutschland 5 min

Ein alltägliches Phänomen hat Wissenschaftler jahrhundertelang vor Rätsel gestellt: Beim Berühren einer metallenen Türklinke wird uns manchmal ein elektrischer Schlag versetzt. Nun ist es Forschern gelungen, eine entscheidende Unbekannte der Reibungselektrizität aufzudecken.

Elektrostatische Aufladung bezeichnet die Ansammlung elektrischer Ladungen auf der Oberfläche eines Materials durch Reibung, Kontakt oder Induktion. Sie entsteht, wenn Elektronen von einem Material auf ein anderes übergehen, wodurch positive und negative Ladungen getrennt werden.

Laut einer neuen Studie des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) spielt die Kontaktgeschichte von Materialien eine zentrale Rolle bei der elektrostatischen Aufladung. Diese Erkenntnis könnte endlich erklären, warum sich die reibungselektrische Aufladung von Isolatoren so unvorhersehbar verhält. Die Forschungsergebnisse, die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurden, könnten einen bedeutenden Fortschritt im Verständnis von Elektrostatik und Materialwissenschaft markieren.

Ein uraltes Phänomen

Schon in der Antike entdeckten Gelehrte, dass sich bestimmte Stoffe durch Reibung aufladen können. Bernstein ist ein bekanntes Beispiel. Später erkannte Benjamin Franklin, dass dieser Effekt auf einem Ladungsaustausch beruht.

Die Reibungselektrizität ist nicht nur für den kleinen Schock beim Berühren einer Türklinke verantwortlich, sondern spielt auch in der Natur eine große Rolle: Sie beeinflusst Gewitter, den Pollentransport von Insekten und sogar die Entstehung von Planeten.

Trotz dieses Wissens blieb jedoch ungeklärt, was genau bestimmt, ob ein Material nach Kontakt positiv oder negativ geladen ist. Wissenschaftler versuchten, eine triboelektrische Reihenfolge aufzustellen, doch die Ergebnisse waren widersprüchlich.

„Es schien lange Zeit ein totales Chaos zu sein, zu verstehen, wie Isoliermaterialien Ladung austauschen. Die Experimente sind unvorhersehbar und können manchmal völlig zufällig erscheinen“, erklärt Scott Waitukaitis vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA), Koautor der Studie.

Experiment mit Polymerblöcken

Ein Forschungsteam unter Leitung von Juan Carlos Sobarzo beschloss, dieser Frage systematisch nachzugehen. Sie untersuchten das polymere Material Polydimethylsiloxan (PDMS) und testeten dessen elektrostatische Eigenschaften bei wiederholtem Kontakt.

Triboelektrische Aufladungen entstehen, wenn zwei Materialien durch Reibung in Kontakt kommen und sich dann trennen. Dabei werden Elektronen von einem Material auf das andere übertragen, sodass eines positiv und das andere negativ geladen wird. – Die triboelektrische Serie wiederum ist eine Rangordnung von Materialien nach ihrer Neigung, Elektronen aufzunehmen oder abzugeben.

Anfangs schien sich eine klare triboelektrische Reihenfolge zu ergeben. Doch bei erneuten Versuchen veränderte sich die Reihenfolge auf unvorhersehbare Weise. Erst nach zahlreichen Tests wurde klar, dass die Aufladung davon abhing, wie oft eine Probe zuvor in Kontakt mit anderen Materialien gekommen war.

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Die Forscher stellten fest, dass die Kontaktgeschichte eines Materials eine Rolle bei der elektrischen Aufladung spielt. Bild: Wikimedia Commons/Sean McGrath/Black Rainbow 999

„Der Kontakt selbst kann die Parameter beeinflussen, die die Kontaktelektrizität hervorrufen. Mit anderen Worten: Unser Material ‚erinnert‘ sich an seine Kontaktgeschichte“, so Sobarzo.

Kontaktgedächtnis als Schlüssel

Um die Ursache dieses Kontaktgedächtnisses zu klären, analysierten die Forscher die Oberflächenstruktur der Proben mithilfe modernster Röntgen- und Mikroskopietechniken. Dabei stellten sie fest, dass sich durch wiederholten Kontakt winzige Veränderungen in der Oberflächenstruktur ergeben. Die betroffenen Bereiche wurden glatter, was offenbar die Art der Ladungsübertragung beeinflusste.

„Sobald wir angefangen haben, die Kontakthistorie der Proben zu verfolgen, ergaben vermeintliche Zufälligkeit und Chaos tatsächlich einen Sinn.“
Scott Waitukaitis, Institute of Science and Technology Austria (ISTA)

Die Entdeckung könnte die Widersprüche in bisherigen Studien zur elektrostatischen Aufladung erklären. Sollte sich das Kontaktgedächtnis bei weiteren Materialien bestätigen, könnte es sogar die Grundlage für eine präzise Steuerung elektrostatischer Prozesse bilden.

Da im Alltag die Kontaktgeschichte eines Materials oft unbekannt ist, bleibt die Vorhersage elektrostatischer Phänomene dennoch schwierig. „Vielleicht wird es niemals möglich sein, die Kontaktelektrizität in realen Szenarien vorherzusagen“, schreibt Daniel Lacks von der Case Western University in einem Kommentar zur Studie.

Quellenhinweis:

Sobarzo, J.C., Pertl, F., Balazs, D.M. et al. (2025): Spontaneous ordering of identical materials into a triboelectric series. Nature, 638, 664–669.