Plankton in Ozeanen sinkt langsamer als erwartet: Muss die globale Kohlenstoffspeicherung anders berechnet werden?

Eine Stanford-Studie enthüllt, dass der Klimawandel Sinkvorgänge in den Meeren verlangsamt und dadurch die Speicherung von Kohlendioxid im Ozean weniger effizient abläuft, als bislang vermutet.

Aufnahme eines Schwebeteilchens
Aufnahme eines Schwebeteilchens mit dem Spezialmikroskop. Bild: Chajwa et al., 2024
Lisa Seyde
Lisa Seyde Meteored Deutschland 4 min

Der Ozean bindet jährlich zwischen 5 und 10 Gigatonnen Kohlenstoff. Ein entscheidender Teil dieses Prozesses ist der sogenannte „Meeresschnee“, abgestorbene organische Partikel, die durch den Ozean sinken und Kohlenstoff mit sich zum Meeresboden transportieren. Doch der Sinkprozess und sein Einfluss auf die Kohlenstoffbindung wurden bisher nicht ausreichend erforscht.

Meeresschnee (marine snow) ist eine Mischung aus abgestorbenem Phytoplankton, Bakterien und anderen organischen Partikeln, fragmentierte Organismen oder Fäkalien, die aus oberen Wasserschichten in die Tiefsee absinken. Meeresschnee spielt eine zentrale Rolle im Kohlenstoffkreislauf, indem er Kohlendioxid ins Meer transportiert.

Eine von Stanford-Forschern um Manu Prakash durchgeführte Studie, die in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, deckt nun auf, dass diese mikroskopisch kleinen Schwebeteilchen spezielle Schleimstrukturen bilden können, die den Absinkprozess des Meeresschnees erheblich verlangsamen.

Ozeanische Kohlenstoffbindung langsamer als angenommen

Die Wissenschaftler entdeckten, dass die schleimartigen „Fallschirme“ insgesamt den Sinkvorgang des Meeresschnees in den oberen 100 Metern des Ozeans verzögern. Dabei verdoppelt sich die Aufenthaltszeit der Partikel in diesen Schichten.

Dadurch wird der organische Kohlenstoff (in den Partikeln) von anderen Mikroorganismen abgebaut, bevor er in die Tiefe sinken kann. Das wiederum verzögert die Speicherung von Kohlendioxid. – Daher ist es durchaus denkbar, dass frühere Schätzungen des Kohlenstoffbindungspotenzials der Ozeane zu optimistisch waren.

Videoaufnahme eines Schwebeteilchens
Videoaufnahme eines Schwebeteilchens mit dem Spezialmikroskop. Bild: Youtube

Für die Untersuchung wurde eigens ein rotierendes Mikroskop in Prakashs Labor entwickelt. Das Gerät simuliert die Bewegungen der Organismen und Meeresschnee-Partikel, was es den Forschern ermöglicht, die Bewegungsdynamik des Meeresschnees unter natürlichen Bedingungen zu untersuchen.

„Wir haben nicht in die richtige Richtung geschaut“, sagt Prakash, außerordentlicher Professor an den Stanford Schools of Engineering and Medicine sowie an der Stanford Doerr School of Sustainability. „Was wir herausgefunden haben, unterstreicht die Bedeutung grundlegender wissenschaftlicher Beobachtungen und die Notwendigkeit, natürliche Prozesse in ihrer tatsächlichen Umgebung zu untersuchen.“

Die Forscher brachten das Spezialmikroskop in die Weltmeere, darunter zur Arktis und Antarktis, um den Absinkprozess direkt vor Ort beobachten zu können. „Die Theorie sagt einem, wie eine Strömung um ein kleines Teilchen aussieht, aber was wir auf dem Boot sahen, war völlig anders“, erläutert Rahul Chajwa, ein Postdoktorand in Prakashs Labor. „Wir stehen noch ganz am Anfang, diese komplexe Dynamik zu verstehen.“

Sinkgeschwindigkeit
Gesamtanalyse der Sinkgeschwindigkeit. Bild: Chajwa et al., 2024

Die Forscher planen, die gewonnenen Daten in globale Klimamodelle zu integrieren und den größten jemals gesammelten Datensatz über Meeresschnee-Sedimentation zu veröffentlichen.

In den letzten Jahrzehnten haben Wissenschaftler biologische Prozesse meist in kontrollierten Laborumgebungen untersucht. Die Stanford-Wissenschaftler zeigen nun, dass es essenziell ist, die Untersuchungen in der natürlichen Umgebung durchzuführen. „In der Biologie hat die Trennung von seiner Umgebung jegliche Fähigkeit von uns genommen, die richtigen Fragen zu stellen“, erklärt Prakash.

Trotz der neuen Unsicherheiten bei den Modellberechnungen bleiben Prakash und sein Team optimistisch, da sie auch Hinweise auf Prozesse entdeckt haben, welche die ozeanische Kohlenstoffbindung beschleunigen könnten. „Jedes Mal, wenn ich die Welt des Planktons mit unseren Geräten beobachte, lerne ich etwas Neues“, bemerkt Prakash.

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Quelle:

Rahul Chajwa et al. (2024): Hidden comet tails of marine snow impede ocean-based carbon sequestration. Science, 386. https://www.science.org/doi/10.1126/science.adl5767